Update 08.04.2019: Marsch auf Tripolis
Libyen. Die Lage in
Tripolis/ Gefahr durch USA/Misratas Schlüsselrolle bei der libyschen
Katastrophe/Die UN/Libysches Erdöl
Wie das Gesundheitsministerium der ‚Einheitsregierung‘
mitteilte, hat es mittlerweile bei den Kämpfen in Tripolis mindestens 21 Tote
und 27 Verletzte gegeben.
Die Tripolis- und Misrata-Milizen haben ihre Gegenoffensive
unter dem grauseligen Namen „Vulkan des Zorns“ gestartet.
Laut Berichten der Nachrichtenagentur Sputnik hat die
libysche Armee (LNA) seit Sonntagfrüh Luftangriffe auf bewaffnete Milizen und
deren Versorgungseinheiten in Vororten von Tripolis geflogen. Gestartet seien
die Flugzeuge von LNA-Stützpunkt Wadi Rabea. Die ‚Einheitsregierung‘ hat
ihrerseits Luftangriffe auf Wadi Rabea und den Wattiya-Luftwaffenstütztpunkt
der libyschen Armee (LNA) durchgeführt.
Nachdem zunächst Militärsprecher der Armee verkündet hatten,
dass sie den internationalen Flughafen von Tripolis unter ihre Kontrolle
gebracht haben, kam der Flughafen unter Luftangriffe der Tripolis-Milizen. In
einer Pressekonferenz heute Abend bestätigte der Sprecher der libyschen Armee
(LNA), die Armee habe die Kontrolle über den internationalen Flughafen
Tripolis, das Yarmouk Camp und das Wadi Al-Rabie übernommen.
Der Mitiga-Flughafen von Tripolis wurde ebenfalls von einem
Kampfjet der libyschen Armee (LNA) angegriffen und musste deshalb geschlossen
werden.
Heute bombardierte ein Flugzeug, das von Misrata aus
gestartet war, eine Farm, die einst Oberst Gaddafi gehört hatte. Die Farm sei
ein ziviles Ziel gewesen und hätte keinerlei militärische Bedeutung gehabt.
Die libysche Armee (LNA) soll wichtige strategische
Positionen bereits eingenommen haben und den Marsch ins Stadtzentrum
vorbereiten. Einige Tripolis-Milizen sollen sich bereits geweigert haben, gegen
die libysche Armee (LNA) Kampfhandlungen aufzunehmen. Weitere Unterstützung
kommt von Einheiten aus dem Osten. Der Sprecher der libyschen Armee (LNA)
erklärte: „Wir versichern der internationalen Gemeinschaft und den Bewohnern von
Tripolis, dass unser Plan nicht über die Bekämpfung von Terroristen und
Kriminellen in Tripolis hinausgeht.“
Ein schwerer Schlag für die ‚Einheitsregierung‘ dürfte das
Überlaufen von Ali al-Katrani sein, der in der ‚Einheitsregierung‘ das Amt des
stellvertretenden Ministerpräsidenten innehatte und der jetzt erklärte, er
unterstütze die libysche (LNA) Armee, da Tripolis vor „bewaffneten kriminellen
Terrormilizen“ befreit werden müsse.
Laut einem Artikel auf TheLibyanReport sind drei
Szenarien für die weitere Entwicklung rund um Tripolis vorstellbar: Erstens
könnte daraus ein lang andauernder Konflikt werden, bei dem sich die
Rückeroberung von Tripolis von den Milizen der Einheitsregierung über Jahre
hinzieht. Zweitens sei ein schneller Sieg denkbar, wenn genügend Milizen durch
Verhandlungen dazu gebracht werden, zur libyschen Armee (LNA) überzulaufen.
Allerdings würde sich der weitere Umgang mit ihnen als problematisch erweisen.
Und drittens könnte sich ein neuer Status Quo konsolidieren, bei dem die
libysche Armee (LNA) strategisch wichtige Positionen einnimmt, um den Druck auf
die Hauptstadt aufrechtzuhalten. Es würden weitere Verhandlungsrunden folgen.
Interessant bei dieser Lageeinschätzung ist, dass kein Szenario existiert, bei
dem die ‚Einheitsregierung‘ mit ihren Milizen die Oberhand behält.
Laut dem Außenminister der Interimsregierung (Baida) im
Osten Libyens, Hadi Khweish, wird die Militäroperation rund um Tripolis die
geplante Abhaltung von Wahlen nicht beeinträchtigen. Libyer hätten die
Freiheitseinschränkungen, Gefangennahmen, Mord, Entführungen, Gewalt und
Verbrechen satt. Nach dem Ende der Militäroperationen werde Libyen auf dem
richtigen Weg bleiben und ein positives Mitglied der internationalen
Gemeinschaft werden.
Der Sprecher der libyschen Armee (LNA) bekundete den Willen,
auch an der Nationalkonferenz, die Mitte April in Ghadames geplant ist,
festzuhalten.
Was sich aus der jetzigen Situation ablesen lässt, ist,
dass die Installierung dieser ‚Einheitsregierung‘ und ihre Anerkennung durch
eine ‚internationale Gemeinschaft‘ und die UN eine einzige große Lüge, ein fake
unglaublichen Ausmaßes war und ist. Es wurde ein Potemkin’sches Dorf errichtet,
das mit den Realitäten in Libyen keinerlei Schnittmengen hatte und das jetzt
wie ein Kartenhaus zusammenfällt.
Und wie schon so oft könnte das Schicksal Libyens von den
Ältestenräten der Stämme und Städte abhängen. Der Oberste Rat für Versöhnung
der Kyrenaika will die Ältestenräte dazu auffordern, alles nur irgend Mögliche
zu unternehmen, damit das Blutvergießen unter Libyern endet.
Die Lage der Zivilisten in Tripolis
Al-Arabija berichtet, dass es in einigen Bezirke im
Süden von Tripolis infolge der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der
Armee und Tripolis-Milizen wegen beschädigter Stromleitungen zu Stromausfällen
kam. Etwa 2.800 Menschen seien aus den umkämpften Gebieten geflohen.
Dagegen zeigen sich die Bewohner von Tripolis von den
Kämpfen recht unbeeindruckt. Das Leben in der Hauptstadt scheint normal
weiterzugehen. Die Geschäfte sind geöffnet, die Leute gehen zur Arbeit und
ihren täglichen Verrichtungen nach, auf den Straßen herrscht Verkehr,
Checkpoints sind selten und oft nicht besetzt.
USA: Ein Damoklesschwert hängt über Libyen
Wie AFRICOM mitteilte und wie auf Video im Internet zu
besichtigen ist, evakuierten Boote der US-Armee nahe der Küstenstadt Janzour
(westlich von Tripolis) ein Kontingent US-Truppen. Allerdings ließ Nate
Herring, Sprecher von AFRICOM, auch verlauten: „Wir werden weiterhin die
Bedingungen vor Ort überwachen und gegebenenfalls die Machbarkeit einer
erneuten US-Militärpräsenz prüfen.“
Dies ist durchaus als Drohung zu verstehen. Für die
US-Truppen wäre es jederzeit möglich, nach Libyen zurückzukehren und dort in
die Kämpfe zugunsten der ‚Einheitsregierung‘ auch mit ihrer Luftwaffe
einzugreifen. Bisher führten die USA in Libyen Luftangriffe gegen Standorte des
IS durch.
Allerdings können die USA auf einen wichtigen Partner in der
Region, den eine lange Grenze mit Libyen verbindet, nicht wirklich zählen:
Algerien ist durch die Schwierigkeiten, ausgelöst durch die missglückte
Wiederwahl des Zombies Bouteflika äußerst geschwächt. Und der östliche Nachbar,
Ägypten, unterstützt sowieso die libysche Armee (LNA).
Der Sprecher der libyschen Armee (LNA) zeigte sich über die
Präsenz der US-amerikanischen Truppen in Tripolis überrascht und meinte, auf
libyschem Territorium gebe es 300 US-Soldaten.
Die Schlüsselrolle der Stadt Misrata
Heute fand in Moskau ein Treffen zwischen Putin und Erdogan
statt. Dabei dürfte auch Libyen Thema gewesen sein, da die Türkei neben Katar
als der stärkste Unterstützer der Moslembrüder und der Stadt Misrata gilt. Die
besonderen Beziehungen der Türkei zu Misrata stammen aus der Abstammung vieler
Bewohner Misratas. Viele von ihnen haben türkische Wurzeln, die noch aus Zeit
der osmanischen Besatzung Libyens stammen. Die Bewohner Misratas standen immer
in Gegnerschaft zur Dschamahirija und zu Gaddafi. Sie waren die Ausführenden
bei seiner brutalen Ermordung und der seines Sohnes und der tagelangen
leichenschänderischen Zurschaustellung seines toten Körpers. Ebenso sind sie
verantwortlich für die Vertreibung der dunkelhäutigen Bewohner der Stadt
Tawerga und der Weigerung, diese in ihr angestammtes Zuhause zurückkehren zu
lassen.
Die Türkei ist durch regelmäßige Flugverbindungen mit
Misrata verbunden. All die Jahre seit dem Sturz der Dschamahirija-Regierung
kamen über Misrata aus der Türkei Waffen und dschihadistische Kämpfer ins Land,
die von Misrata über den Seeweg entlang der libyschen Küste in den Osten
gebracht wurden, um die dortigen Dschihadisten und al-Kaida-Kämpfer in Bengasi
und vor allem in der Dschihadistenhochburg Derna zu beliefern. Es waren lange
und blutige Kämpfe der LNA erforderlich, um in Bengasi und insbesondere in
Derna diese extrem-islamistischen Milizen niederzukämpfen. Erst im letzten Jahr
konnte sich der Osten Libyens als komplett befreit erklären.
Gut möglich, dass sich Putin und Erdogan nun bemühen, einen
‚Deal‘ für Libyen auszuhandeln, so wie es ihnen bereits für Syrien gelang.
Erdogan dürfte schlauer sein als die sonstigen Europäer und Libyen schon lange
abgeschrieben haben. Der Traum vom neuen Osmanischen Reich ist ausgeträumt.
Die Küstenstadt Misrata hat unter dem Namen al-Bunyan
al-Marsous den stärksten Milizenverband Libyens aufgebaut. Er vertrieb 2016
den IS aus der Sirte und übt seitdem die Kontrolle über die Stadt aus.
Große Unterstützung genießt Misrata auch von Italien, das
eine Truppe von 300 Mann bei Misrata stationiert hat, angeblich um ein
Krankenhaus zu schützen. Wichtiger ist sicherlich die logistische Unterstützung
der libyschen Küstenwache, die Migranten davon abhalten soll, sich auf den Weg
nach Italien zu machen. Die italienische Regierung schloss bei der
Migrantenabwehr einen recht unseligen Pakt mit kriminellen und undurchsichtigen
Milizen. Nun gab die italienische Regierung bekannt, sie schließe jede
Intervention von Spezialeinheiten in Tripolis aus.
Misrata wird der große Verlierer sein.
Die Vereinten Nationen
Russland legte am Sonntag ein Veto gegen eine Erklärung des
UN-Sicherheitsrates ein, die Haftar aufgefordert hätte, seinen Vormarsch auf
Tripoli einzustellen. Moskau bestand darauf, dass die formelle Erklärung alle
libyschen Streitkräfte auffordert, die Kämpfe einzustellen. Die von Moskau
vorgeschlagene Änderung wurde von den Vereinigten Staaten jedoch abgelehnt.
Die G7 haben auf ihrem Gipfel zu Gewaltverzicht in Libyen
aufgerufen. Ausgerechnet die G7 mit den USA, Frankreich und Großbritannien, die
führenden Mächte beim Nato-Krieg 2011 gegen Libyen, Damals dauerten die Luftangriffe
sieben Monate, es wurden 30.000 Einsätze geflogen und mehr als 40.000 Raketen
und Bomben abgeworfen. Die Mächte, die dies zu verantworten haben, rufen heute
zu Gewaltverzicht auf. Ein Hohn!
Das libysche Erdöl
Die großen Erdölfelder in Libyen scheinen weiter zu fördern.
Libyens Öl ist aufgrund seiner niedrigen Förderkosten, seines geringen
Schwefelgehalts und seiner Nähe zu den europäischen Märkten sehr gefragt.
Laut der Tagesschau sind die neuen Höchststände der Ölpreise
auf die Krise in Libyen zurückzuführen. Das ist unglaubwürdig, da die
Fördermenge in Libyen aufgrund der Turbulenzen im Land in den letzten Jahren
sehr schwankend war. Der Preisanstieg dürfte viel eher mit der Krise in
Venezuela in Zusammenhang stehen. Die Ausfuhr in die USA, die bis vor kurzem
noch Hauptabnehmer des venezolanischen Erdöls war, ist zum Erliegen gekommen.
Das Öl geht jetzt nach Indien, China und Singapur. Dies bedeutet, dass sich die
USA anderweitig um Öllieferungen bemühen müssen und dies den westlichen Ölmarkt
unter Druck setzt. Die Exportrate von Öl aus Venezuela nach Europa fiel von 22
auf 17 Prozent. Auch dies dürfte die Ölpreise in Europa in die Höhe treiben.
Libyen für den Ölpreisanstieg verantwortlich zu machen dient nur dazu, den
wahren Grund zu verschleiern, nämlich dass der ganze Umsturzversuch in
Venezuela ein Schuss ins Knie war – ebenso wie der Regimechange in Libyen. Doch
was heißt Knie: Der Schuss sitzt höher.
A. Gutsche
Interessanter Videobericht: https://deutsch.rt.com/afrika/86913-libyen-von-nato-zerstorte-staat/?utm_source=browser&utm_medium=aplication_firefox&utm_campaign=firefox
https://sputniknews.com/africa/201904071073898726-libya-air-operation/https://thelibyanreport.com/pentagon-orders-troops-to-leave-libya-which-it-helped-destabilize-laments-security-conditions/?ref=facebookBot
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