Zum Gedenken an Oberst Gaddafi: ein Rückblick in Kindheit und Jugend
Muammar
al-Gaddafi. Heute jährt sich zum fünften Mal der Todestag von Oberst Muammar
al-Gaddafi, der am 20. Oktober 2016 bestialisch ermordet wurde. Seinen
geschundenen Leichnam stellte man tagelang in Misrata in einem Kühlhaus zur
Schau.
Die folgenden
Kindheitsbeschreibungen beruhen zum Großteil auf dem Buch „Gheddafi. Una sfida
dal deserto“ von Angelo del Boca. Editori Laterza 1998.
Der Vater Gaddafis, Mohamed Abdel Salam,
genannt Abu Miniar, gehörte dem relativ kleinen Stammesverband der Gaddadfa an.
Die Familie lebte mit ihren Viehherden in der Großen-Sirt-Wüste, wo nahe der
Stadt Sirte der kleine Muammar von Mutter Aischa in einem einfachen
Beduinenzelt aus Ziegenleder zur Welt gebracht wurde. Sechs Kinder, die sich in
den Sümpfen entlang der Mittelmeerküste Malaria zugezogen hatten, waren bereits
gestorben[1];
drei Töchter, Salema, Ateka und Alzadina, hatten überlebt. Der Vater war bei
der Geburt seines Sohnes fast 60 Jahre alt. Gaddafis Geburtsdatum ist nicht mit
letzter Sicherheit anzugeben, da es in jener Zeit in Libyen nicht üblich war,
Geburten registrieren zu lassen. Wahrscheinlich ist, dass Gaddafi im Frühjahr
1942 geboren wurde.
Wie schon der Großvater, der 1911 bei
Kämpfen gegen die Italiener gefallen war, hatte sich auch der Vater dem
Widerstand gegen die Italiener angeschlossen und war in einer Schlacht
verwundet worden. Muammar wurde in die Kolonialzeit hinein geboren, gerade
hatte der deutsche General Rommel seine Offensive gegen Großbritannien in
Libyen gestartet. Als im Dezember 1942 die deutsch-italienische Armee in
al-Alamein geschlagen wurde und sich – verfolgt von den britischen Panzern des
General Montgomery – aus der Kyrenaika zurückziehen musste, war der Kolonialkrieg,
der über dreißig Jahre gedauert hatte und von dem mehrere Generationen
gezeichnet waren, zumindest in der Sirt-Wüste zu Ende.
„Ich bin ein Beduine, der nicht lesen und
schreiben kann; […] ich trinke Wasser, das ich mit meinen Händen aus Brunnen
schöpfe […] ein armer Beduine, der sich verirrt hat, der nicht einmal eine
Geburtsurkunde besitzt…“[2],
so Muammar al-Gaddafi über sich selbst. Wie Angelo del Boca in seinem Buch
„Gheddafi“ erzählt, hütete der kleine Muammar die Ziegen und Kamele der
Familie, die mit ihren Herden von einem Weidegebiet zum nächsten zog. Oft waren
die Märsche lang und Kräfte zehrend, der kleine Muammar war viel alleine
unterwegs und oft auf sich selbst gestellt. In einem Gespräch vertraute Gaddafi
1984 Hamid Barrada an: „Ich habe im wahrsten Sinne des Wortes die Welt der
Beduinen erfahren, habe mit ihnen gelebt, mit den Nomaden unter einem Zeltdach
geschlafen. Die Landwirtschaft, die einen ernährt, ist einfach. Die Arbeit wird
mit Hilfe der Tiere erledigt, man erntet und sät mit den Händen, man treibt die
Tiere zur Weide… man reitet und jagt mit dem Pferd… all diese Dinge habe ich
gemacht und so die Mühseligkeiten im Alltag einer Beduinenfamilie
kennengelernt.“ Aus diesen Zeiten dürfte Gaddafis Leidenschaft für das Leben im
Zelt stammen. Er schrieb: „Das Zelt ist ein Symbol für das einfache Leben. Den
Anfang meines Lebens verbrachte ich im Zelt und bis heute ist es mir nicht
gelungen, mich an ein Leben in luxuriöser Umgebung zu gewöhnen. Nur im Zelt
fühle ich mich wirklich wohl.“[3]
Das legendäre Zelt Gaddafis, von den westlichen Medien als Marotte eines
exzentrischen arabischen Politikers verspottet, scheint den Oberst geerdet und
mit seinen sozialen Wurzeln verlinkt zu haben.
Das beduinische Leben war vom ruhigen
Rhythmus des Arbeitens, Betens und Spielens mit Gleichaltrigen geprägt. Muammar
liebte es, wenn sein Vater Märchen und Geschichten erzählte oder über den Krieg
gegen die Italiener sprach. Das waren meist traurige Erinnerungen, denn nicht
nur der Großvater Abdusalam Hamid Abominiar fiel im Jahr 1911 durch eine
italienische Kugel, sondern auch dessen Bruder Khamis Hamid kam 1915 durch den
Kopfschuss eines italienischen Soldaten ums Leben. Ein weiterer Bruder wurde
nach seiner Gefangennahme in den Schufra-Oasen erhängt. Auch Muammars Vater zog
sich beim Kampf gegen die Italiener Schussverletzungen zu. Aus den Erzählungen
des Vaters erschloss sich dem Kind, welche grausamen Massaker italienische
Soldaten begingen, wie sie Menschen verschleppten und die am besten
landwirtschaftlich nutzbaren Gebiete für sich konfiszierten.
Gaddafi erzählte in Tripolis 1996 dem
italienischen Journalisten del Boca, wie er selbst als Sechsjähriger im Jahr
1948 von einer italienischen Landmine verletzt wurde, die er und seine
Kameraden im Kriegsschrott fanden, der
in der libyschen Wüste zurückgelassen worden war. Die Jungs hatten die Auto-
und Flugzeugwracks, die zurückgelassenen Waffen und Munitionskisten als
Abenteuerspielplatz genutzt und waren dabei unbeabsichtigt in ein Minenfeld
eingedrungen: „Meine Eltern weinten, wenn sie sich an die italienische
Besatzung erinnerten. Ich habe diese Zeit selbst nicht erlebt, aber ich habe
die Folgen dieses Kriegs gesehen. Ich habe ein Land vorgefunden, übersät mit
Landminen, die Dörfer zerstört, die Städte verbrannt. Ich selbst habe
Verletzungen von einer italienischen Mine davongetragen, hier am rechten Arm.
Bei dieser Explosion kamen zwei Kinder ums Leben. Das waren Cousins von mir.
Dass ich am Leben blieb, war reiner Zufall.“[4]
Dreißig Jahre später sollte in Libyen ein Weißbuch verfasst und an die
verantwortlichen Nationen, Italien, Deutschland und Großbritannien, mit
Schadenersatzforderungen für die Opfer der Landminen und des Krieges übergeben
werden. Diese Forderungen werden bis heute ignoriert.
Das den Weideplätzen der Gaddafis
nächstgelegene Dorf hieß Gars Bu Hadi. Es gab dort keine Schule, aber ab und an
besuchte ein „fahrender Lehrer“ das Dorf und unterrichtete die Beduinenkinder
vor der Moschee oder im Schatten eines großen Baumes. Die Schüler mussten Koransuren
auf eine Schiefertafel schreiben und wurden auf diese Art sowohl mit dem Koran
als auch mit der arabischen Sprache vertraut.
Da der sechsjährige Muammar ein sehr
eifriger Schüler war, beschloss die Familie, ihn auf die zwanzig Kilometer
entfernte Volksschule in der Stadt Sirte zu schicken. Im Jahr 1962 begleitete
ihn sein Vater dorthin. Der Oberst erzählte: „In dieser Zeit gab es nicht sehr
viele Kinder, die zur Schule gingen. Die Formalitäten der Einschreibung waren
auf ein Minimum beschränkt: Der Direktor fragte mich, was ich könne, und ich
antwortete, ich könne den Koran lesen. Ich wurde in die zweite Klasse
aufgenommen. Das war eine Herausforderung für mich. Ich musste schnellstens die
vier Grundrechnungsarten erlernen, denn bisher konnte ich nur addieren. Ich
hatte Angst, dass ich zurückgestuft werde. Aber schon am Ende des zweiten
Trimesters war ich Klassenprimus. Angespornt haben mich die Hänseleien meiner
Kameraden, die mich ‚Beduine’ nannten und mir zuriefen: ‚Geh doch wieder zum
Schafe hüten!’“[5]
Die Familie nahm harte Entbehrungen auf
sich, um den Schulbesuch ihres einzigen Sohnes finanzieren zu können. Aber auch
für den kleinen Muammar waren die Jahre in Sirte eine schwere Zeit; zum Essen
musste genügen, was ihm die Familie bei seinen wöchentlichen Besuchen mitgab.
Ein ehemaliger Mitschüler erzählte: „In der ganzen Schule gab es nur ein oder
zwei Beduinenkinder. Die anderen behandelten uns wie Aussätzige. Wir waren so
arm, dass wir uns kein Pausenbrot kaufen konnten. Ich glaube, ohne Gaddafi
hätten wir uns geschämt. Er aber war stolz darauf.“[6]
Da sich die Familie keinen Schlafplatz in
der Stadt leisten konnte, übernachtete der kleine Junge in einer Moschee. Die
Solidarität und Barmherzigkeit, die ihm dort zuteil wurden, verknüpft mit dem
Studium des Korans, bildeten das Fundament für seine ausgeprägte Religiosität.
Die Zeit in Sirte war auch bestimmend für
seine Abneigung gegen Städte, in denen Kaufleute und Händler das Sagen hatten.
Gaddafi hielt immer das Leben im Dorf für die bessere Alternative: „Das Dorf
ist ruhig, sauber, homogen. Seine Bewohner kennen sich und sind in guten wie in
schlechten Zeiten solidarisch. Im Dorf und auf dem Land wird nicht gestohlen.
Der Ruf der Familie, das Ansehen des Stammes und des Namens sind wichtig. […] Die
soziale Abschreckung ist viel wirksamer als Polizeimacht und Zivilrecht.“[7]
In diesen Sätzen drückt sich der Gegensatz zwischen den Nomaden im Landesinnern
und den Bewohnern der Küstenstädte aus, der Gegensatz zwischen der Bewahrung
der Tradition, die in der Wüste das Überleben sichert, und der
Aufgeschlossenheit für Neues, das den städtischen Händlern den Reichtum
beschert. Dieser Gegensatz in der Lebensführung von Land- und Stadtbevölkerung
führte und führt nicht nur in Libyen immer wieder zu politischen Konflikten.
Der kleine Muammar schaffte es, die
Volksschule anstatt in sechs schon in vier Jahren abzuschließen und das, obwohl
er in den Ferien mit seiner Familie weit in den Fessan zu neuen Weiden ziehen
musste. Diese beschwerlichen Wanderungen dauerten jeweils etwa zwölf Tage. Die
Wüstenpiste nach Sebha führte über 500 Kilometer durch Dünenmeere, steinige
Ebenen und die ‚Schwarzen Berge’ mit ihren wilden Schluchten. Man rastete in
gastfreundlichen Oasen und tiefen Wadis. Der kleine Muammar lernte von den
Erwachsenen nicht nur etwas über das Führen von Karawanen, sondern auch über
die Harmonie untereinander und den Respekt füreinander, ohne die ein sicheres
Reisen in gefährlichen Wüstengegenden nicht möglich war. Dies waren
Erfahrungen, die den kleinen Muammar für den Rest seines Lebens prägten. Kam
endlich die Wüstenstadt Sebha mit ihren weißen Häusern in Sicht, gab es für die
Jungs kein Halten mehr: Laut rufend stürmten sie der Stadt entgegen.
1956 beschloss die Familie, dass der
14-jährige Muammar nicht mehr mit der Familie nach Norden zurückwandern,
sondern in Sebha, der Hauptstadt des Fessan, bleiben und dort die Mittelschule
besuchen sollte. Die Trennung von seinem Stamm und der Familie, die er nun ein
Jahr lang nicht mehr sehen konnte, war sehr schmerzlich. Auch wenn Sebha eine
grüne Oasenstadt inmitten der Sahara ist, war für Muammar das Leben in der
Stadt bestenfalls ein notwendiges Übel, doch wenigstens war der Schule diesmal
ein Schlafsaal angegliedert. Auch dank seines Ehrgeizes konnte Muammar die
Mittelschule bereits nach einem Jahr verlassen und besuchte die nächsten vier
Jahre das Gymnasium von Sebha.
Wie del Boca richtig bemerkt, waren diese
Schuljahre für die politische und intellektuelle Entwicklung Gaddafis prägend.
Dank eines kleinen Transistorradios, ein Geschenk seines Vaters, konnte Muammar
die feurigen Reden des ägyptischen Präsidenten Nasser verfolgen und sie mit
seinen Schulkameraden diskutieren. Unter dem Motto „Freiheit, Sozialismus und
Einheit“ hatte 1952 die ägyptische Revolution gesiegt, deren Führer der von
Muammar verehrte Nasser war. Muammar entdeckte die Weiten der islamischen,
arabischen und afrikanischen Welt, machte Bekanntschaft mit den
Unabhängigkeitsbewegungen, die sich gegen Imperialismus und Kolonialismus
erhoben und soziale Gerechtigkeit forderten. Er selbst formulierte es so: „Die
Ereignisse, die mich am meisten berührten, waren die Aggression gegen Ägypten,
die algerische Revolution und die Entstehung der Vereinigten Arabischen
Republik, das heißt die Union zwischen Ägypten und Syrien. Ich gehöre zu einer
Generation, der von Nasser die Augen für die Politik geöffnet wurden. Er war
ohne Zweifel der Anführer im Kampf für die Freiheit und Einheit der arabischen
Nation. Er konnte unsere Ablehnung von Kolonialismus, Zionismus, Feudalismus
und Ausbeutung in Worte fassen.“[8]
Nachdem Nasser im Juli 1954 den
Suez-Kanal verstaatlicht hatte, marschierten im Oktober 1956 englische,
französische und israelische Truppen in Ägypten ein. Diesen Ereignissen
verdankte Nasser trotz seiner militärischen Niederlage einen überwältigenden
politischen Sieg. Er wurde nicht nur für Muammar al-Gaddafi zum großen Vorbild,
sondern für die gesamte arabische Welt, in der die Massen zusammenströmten, um
für Nasser zu demonstrieren. Als Gaddafi davon hörte, organisierte er eine
eigene Schülerdemonstration, die vor das französische Konsulat in Sebha zog, wo
er auf einem Schemel stehend seine erste öffentliche, politische Rede hielt.
Als auf Druck Moskaus die westlichen Armeen Ägypten wieder verlassen mussten,
war Muammar bewusst, dass auch er seinen kleinen Beitrag für die Erstarkung des
arabischen Nationalismus geleistet hatte.
Und er trat weiter für die arabische
Sache ein. Als 15-jähriger schrieb er an das „Journal de Fezzan“ einen langen
Leserbrief, in dem er sich mit der französischen Kolonialpolitik in Algerien
befasste und folgende Fragen stellte: Wem hat das in Algerien geförderte Erdöl
zugute zu kommen? Wer wird beauftragt, das Erdöl zu fördern? Wer verdient
daran? Wer war nach der Entführung des Flugzeugs von Achmed Ben Bellas für den
Einsatz der französischen Spezialeinsatzkräfte verantwortlich?[9]
In den Jahren 1957 bis 1961 organisierte
der junge Gaddafi unermüdlich immer neue Kundgebungen, einmal für die
algerische Unabhängigkeit, ein andermal gegen französische Atomtests in der
algerischen Sahara, einmal für die politische Union zwischen Ägypten und
Syrien, ein andermal gegen die Ermordung des kongolesischen Präsidenten Patrice
Lumumba. Sein Schemel, auf denen er seine leidenschaftlichen Reden hielt, wurde
legendär. Kein Wunder, dass die politische Polizei von König Idris längst schon
ein Auge auf ihn geworfen hatte.
Für Gaddafi war König Idris ein
Kollaborateur im Dienste jener Italiener, die den Generationen seiner Väter und
Großväter so großes Leid zugefügt hatten. Er warf Idris vor, in einer Zeit, in
der in anderen Ländern Afrikas erbittert um die Unabhängigkeit gekämpft wurde,
in der Kyrenaika die Nutzung von Luftwaffen- und Marinestützpunkten an die
Briten und in Tripolitanien die Militärbasis „Wheelus Field“ an die
US-Amerikaner abgetreten zu haben. Als Ägypten im Juni 1957 König Idris
vorwarf, die Benutzung von libyschen Militärbasen für den Einsatz englischer,
französischer und israelischer Kampfflugzeuge gegen Ägypten geduldet zu haben,
war das Wasser auf die Mühlen Gaddafis, der ab nun seine ganze Kraft darauf
verwendete, die Monarchie zu stürzen und Libyen in die Gemeinschaft jener
Länder einzugliedern, die für einen panarabischen Nationalismus standen.
1959 bildete er seine erste politische
Zelle, deren unbestrittener Führer er war. Ein Zeitzeuge erzählt: „Gaddafi
beobachtete aufmerksam jeden Schüler der verschiedenen Klassen und
interessierte sich ausschließlich für die mutigen und brillanten, für die, mit
einem scharfen Verstand und mit Wagemut, denen er die Unterstützung einer
Revolution zutraute. Auch diejenigen waren von Interesse, die an die arabische
Einheit glaubten und an die Notwendigkeit eines radikalen Wandels im eigenen
Land.“[10]
Gaddafi und seine Weggefährten studierten
die Schriften Gamal Nassers wie „Philosophie der Revolution“, daneben
beschäftigte sich der junge Agitator mit dem Werk von Jean-Jacques Rousseau und
anderer Philosophen und vertiefte sein Koranstudium.
Als nach nur drei Jahren die politische
Vereinigung von Ägypten und Syrien am Abfall Syriens scheiterte, bedeutete dies
einen enormen Rückschlag für die panarabische Idee. Unverzüglich organisierte
der junge Gaddafi eine Pro-Nasser-Kundgebung, bei der Damaskus des Verrats
bezichtigt wurde. Die Polizei trieb die Demonstranten auseinander, etliche
wurden verhaftet.
Wegen gefährlicher politischer Agitation
wurde Gaddafi der Schule verwiesen, ein Abgangszeugnis verweigerte man ihm. Er
musste die Stadt verlassen. Doch die von ihm aufgebauten politischen Zellen
blieben in Sebha aktiv und arbeiteten weiter.
Nach einem Zwischenaufenthalt im
elterlichen Zelt in Gars Bu Hadi schrieb sich Gaddafi am Gymnasium von Misrata
ein, wo er die nächsten zwei Jahre nur noch im Untergrund agitierte und sich
weiter mit philosophischen, politischen sowie islamischen Schriften befasste.
Misrata hatte ein völlig anderes städtisches Umfeld als das damalige, von
Wüstenstämmen geprägte Sebha. Die krassen sozialen Gegensätze der Handelsstadt
ließen Gaddafis soziales Gewissen erstarken. Er verfolgte die Revolutionen von
Mao in China und von Castro auf Kuba, letzteren bewunderte er für seinen Mut,
sich gegen die übermächtigen USA zu stellen, dessen Ausrichtung auf die UdSSR
lehnte er aber ab, da er die Sowjets für ebenso imperialistisch hielt wie die
USA.
Und immer wieder hieß sein großer Held
Gamal Nasser, von dessen politischen Ideen später etliche in sein Grünen Buch
einfließen sollten. Ein Beispiel: „Wir eliminieren die Klassenunterschiede. Es
wird keine Klasse der Blutsauger mehr geben, die alle Früchte der Arbeit
erntet.“[11]
Ebenso wie Nasser stellte sich Gaddafi gegen die israelische Aggression
gegenüber den Palästinensern und warnte vor der Infiltration Afrikas durch die
Israelis. Politische Nähe bestand auch mit Allal al-Fassi, dem Präsidenten der
marokkanischen Istiklal-Partei, die sich für eine arabische Maghreb-Union
einsetzte. Wie frustrierend muss es für den jungen Gaddafi gewesen sein, dass
sein eigenes Heimatland zu den am wenigsten fortschrittlichsten und vom Westen
am abhängigsten arabischen Staaten zählte.
1963 machte der 21-jährige Gaddafi in
Misrata seinen Schulabschluss und fasste den Entschluss, in Libyen eine
Revolution vorzubereiten.
Angelika Gutsche
20.10.2016
[1]
Muammar al-Gaddafi Erzählung „Der Tod“
[2] Muammar al-Gaddafi „Escapade en enfer et
autres nouvelles“, Favre, Lausanne 1996
[3]
Gaddafi in einem Kolloquium in Tripolis am 30.11.1996; nach: Angelo del Boca
„Gheddafi. Una sfida dal
deserto“Laterza 1998
[4] dito
[5] dito
[6] Mirella Bianco „Kadhafi, messager du
désert”, Stock, Paris 1973, nach: de Boca “Gheddafi. Una Sfida dal Deserto”
[7] M. Kadhafi, op.cit., nach: de Boca
“Gheddafi. Una Sfida dal Deserto”
[8] H. Barrada, M.Kravetz, M Whitaker, op.
cit., nach:
[9]
Achmed Ben Bella (1918 – 2012): von 1962 – 1965 erster Staatspräsident
Algeriens; 1956 war er an Bord eines marokkanischen Flugzeugs von französischen
Agenten festgenommen worden.
nach: de Boca “Gheddafi. Una Sfida dal Deserto”
nach: de Boca “Gheddafi. Una Sfida dal Deserto”
[10] Zit. in: Moncef Djaziri „État et société
en Libye «, L’Harmattan, Pris 1996.
Nach: de Boca “Gheddafi. Una Sfida dal Deserto”
[11] Discours du Président Gamal Abdel Nasser
à l’occasion du 9. anniversaire de la Révolution, 22 juillet 1961,
Administration de l’Informazione, Il Cairo 1963 ; Nach : de Boca
“Gheddafi. Una Sfida dal
Deserto”
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