Eine Angst geht um in
Libyen: Soll das Land gespalten werden?
Viele Libyer sind in großer Sorge.
Sie befürchten, dass die Gespräche und Verhandlungen zwischen den sogenannten
„Konfliktparteien“ unter Vermittlung des Sondergesandten der UN für Libyen,
Bernardino Léon, das Vorspiel für eine Aufteilung Libyens darstellen. Seit dem
10. Februar findet ein – man könnte ihn aufgrund der räumlichen Trennung der
Tagungsteilnehmer „mobiler Dialog“ nennen – in der westlibyschen Stadt Ghadames
statt. Beteiligt daran sind Gesandte der Tobruk-Regierung und des Tripolis-GNC
(General National Congress). Ergebnis könnte die Installation einer neuen
Marionettenregierung sein, bei der sich vor allem die Interessen des von den
USA, Großbritanniens, Katars und der Türkei mit Geld, Waffen und Söldnern
ebenso wie von Bernardino Léon unterstützten islamistischen Tripolis-GNC
durchsetzen dürften. Doch was würde dies für den Osten Libyens und seine
international anerkannte Tobruk-Regierung bedeuten?
Wie Russia today meldet, war Anfang Februar Abdelaziz als
Sondergesandter des libyschen Parlamentspräsidenten (Tobruk-Regierung) in
Moskau vorstellig geworden, um Hilfe für den Aufbau einer flexiblen und
wendigen Armee zu erbitten. Dazu passt die Nachricht, dass Russlands Präsident
Putin soeben Ägypten besuchte. Man berief sich dabei auf die freundschaftlichen
Beziehungen der beiden Länder in den Zeiten von Gamal Abdel Nasser und kam
überein, die Zusammenarbeit auszubauen. Wie allseits bekannt, ist die
Muslimbruderschaft für den ägyptischen Präsidenten Al-Sisi ein Gräuel und ein
islamistisch regiertes Libyen an Ägyptens Grenze mehr als unerwünscht. Es steht
zu vermuten, dass die USA Ägypten mit der Einstellung von Finanz- und
Militärhilfen gedroht haben, sollte es sich zugunsten der Tobruk-Regierung in
die Konflikte im Nachbarland einmischen. Nachdem sich nun Russland als
Alternative zu den USA anbietet, hat Ägypten nach der brutalen Ermorderung von
21 entführten Kopten durch den libyschen IS Luftangriffe auf IS-Stellungen in
Libyen geflogen.
Eine Persönlichkeit, die schon
lange das Land spaltet, ist der CIA nahe jetzige Generalmajor Al-Hefter.
Augenblicklich wird darüber debattiert, ob Hefter zum General der bewaffneten
libyschen Streitkräfte ernannt werden soll. Die NFA (National Forces Alliance)
stimmte dafür. Sollte Hefter wirklich Oberbefehlshaber werden, würde dies für
das Tobruk-Parlament eine Distanzierung von dem umstrittenen und zwielichtigen
Hefter erheblich erschweren. Viele Libyer würden sich als neuen General der
libyschen Streitkräfte ohnehin den schon etliche Male totgesagten, jedoch an
einem sicheren Ort lebenden Chamis al-Gaddafi wünschen, den jüngsten Sohn
Muammar al-Gaddafis, einst Kommandeur der 32. Brigade, einer Eliteeinheit der
libyschen Streitkräfte.
Wie es scheint, hatten die USA, die
auf Betreiben Hillary Clintons und gegen den Rat von Verteidigungsminister
Robert M. Gates und des Generalstabschefs Mike Mullen, auf einen militärischen
Krieg gegen Libyen setzten, nicht wirklich ein Konzept für ein
Nachkriegslibyen. Wie sonst könnte man es sich erklären, dass zunächst sogar
mit der Implantierung einer Monarchie geliebäugelt wurde, deren Fahne man
gleich schon mal übernommen hatte, frei nach dem Motto: Vorwärts in die
Vergangenheit. Allein daran lässt sich ablesen, welchen Fehleinschätzungen die
USA unterlagen. Über vierzig Jahre Dschamahirija (Herrschaft des Volkes) hatten
Libyen in der Zukunft ankommen lassen, für das heutige, moderne Libyen war ein
Königsaufguss wahrlich keine Alternative, ebenso wenig wie es ein islamistischer
Staat sein könnte.
Was also tun? Ein weiterer Griff
der USA in die Mottenkiste der Geschichte könnte die Zerstückelung des Landes
in zwei oder drei Teile zum Plan haben. Bereits im Jahre 1949 sollte Libyen
laut dem Bevin-Sforza-Plan, benannt nach den damaligen Außenministern
Großbritanniens und Italiens, in drei Teile zerstückelt werden: Kyrenaika,
Tripolitanien und Fezzan, unter Verwaltung von Großbritannien, Italien und
Frankreich. Dieses Vorhaben führte zu heftigen Protesten und Ausschreitungen in
der Bevölkerung. Die für die Teilung nötige Zweidrittelmehrheit konnte
allerdings in der UNO-Vollversammlung am 17. Mai 1949 nicht erreicht werden. Es
fehlte eine Stimme: Der Botschafter des kleinen Haiti hatte sich trotz
gegenteiliger Weisung auf die Seite Libyens gestellt und gegen den Teilungsplan
gestimmt. In Tripolis erinnert heute noch ein Straßenname an dieses Ereignis.
Heute würden bei einer Teilung wohl
den USA der Fezzan, Tripolitanien Großbritannien und die Kyrenaika Frankreich
als Einflusssphären zugeschrieben werden. In jedem der drei Teile gibt es eine
Menge Ressourcen, von Öl über Uran bis zu Gold. Wäre Libyen dermaßen
geographisch geschwächt, hätte es seine politische Bedeutung verloren und wäre
den westlichen Einflusssphären und der Plünderung seiner Rohstoffe hilflos
ausgeliefert. Divide et impera – spalte und herrsche! – wie schon die alten
Römer sagten. Natürlich käme bei diesem Szenario auch der Türkei eine große
Rolle zu: Ein aufgesplittertes Libyen würde nicht mehr der Vormachtstellung der
Türkei in dieser Region im Wege stehen.
Und sollte das mit dem Aufspalten
in drei Teile nicht klappen, so könnten Großbritannien und die USA zumindest
auf die altbewährte Methode, nämlich der Errichtung eines „Anti-Staates“
zurückgreifen. Immer wenn ein Krieg nicht gewonnen beziehungsweise ein Land
nicht mehr beherrscht werden konnte, musste ein Gegen-Staat her. Die Erwiderung
auf die Unabhängigkeit Indiens war die Staatsgründung von Pakistan, auf den
Sieg Mao Zedongs in China folgte die Anerkennung Taiwans und die Ukraine kann
durchaus als Anti-Staat zu Russland gesehen werden. All diese Anti-Staaten
stellen den Stachel im Fleisch des übermächtigen Nachbarn dar, von ihren
Territorien aus können Grenzstreitigkeiten angezettelt und Unruhe gestiftet
werden. Dieser Plan könnte auch in Libyen verfolgt werden: Sollte man schon
nicht ganz Libyen beherrschen können, würde zumindest ein Anti-Staat errichtet
werden, von dem aus sich gegen das andere Libyen nicht nur gut hetzen, sondern
auch kämpfen lässt.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion
und des Baltikums folgte die Destabilisierung des Nahen Ostens, kam es zu
Kriegen und Bürgerkriegen in Nordafrika. Obama machte schon im September 2013
auf der UN-Generalversammlung klar, dass die
Vereinigten Staaten ihre Interessen im Nahen Osten
und in Nordafrika mit allen Mitteln, auch mit militärischen, verteidigen
werden. In seiner Rede hieß es: „So nutze ich diese Gelegenheit, um
auszuführen, was die US-Politik in Bezug auf den Mittleren Osten und Nordafrika
gewesen ist und was sie während meiner Präsidentschaft weiterhin sein wird. Die
Vereinigten Staaten von Amerika sind darauf vorbereitet, alle Möglichkeiten
unserer Stärke einschließlich militärischer Gewalt einzusetzen, um unsere
Kerninteressen in dieser Region zu sichern.“ ("So
let me take this opportunity to outline what has been U.S. policy towards the
Middle East and North Africa, and what will be my policy during the remainder
of my presidency.” - http://www.c-span.org/video/?315200-1/united-nations-general-assembly-speech-president-obama).
Es
mag sich dabei um das Rufen im Walde eines Kolosses auf tönernen Füßen handeln,
doch sein Taumeln dürfte viele mit in den Abgrund reißen. So geht seit
dem von den USA angezettelten Ukraine-Krieg sogar in Europa wieder die Angst
vor einem großen Krieg um. Gleichzeitig wird die Spaltung der westeuropäischen
Gesellschaften in islamische und christliche Teile betrieben. Eine größtenteils
säkulare europäische Welt stemmt sich gegen den von den USA propagierten Kampf
der Kulturen. Es stellt sich die Frage, ob nun auch Europa auf der
US-Instabilitätsagenda seinen Platz hat. Dies könnte spätestens dann der Fall
sein, wenn Europa es wagen sollte, eigene Interessen über die der USA zu
stellen.
Und so ist der Kampf Libyens um
seine Freiheit, Einigkeit und Unabhängigkeit ein Kampf für alle Nationen, die
einen selbstbestimmten politischen und gesellschaftlichen Weg gehen möchten.
Angelika Gutsche, 16.2.2015