Regimewechsel in Zentralafrika
Der Sturz des
zentralafrikanischen Präsidenten Francois Bozizé und die Verweigerung der
Unterstützung durch seine Alliierten werfen Fragen auf. Welche Rolle spielt der
Tschad dabei?
25.3.2013. Eine Welle der Instabilität rollt durch Afrika. Nach der Ermordung
Ghaddafis 2011 und dem aktuellen Sturz von Francois Bozizé in Zentralafrika
gehen Tschads Staatspräsident Idriss Déby allmählich die Verbündeten aus. Nun
sieht er sich auch noch im eigenen Land mit einer längst vergessen geglaubten
Rebellion konfrontiert.
Abgesehen von der Einführung des Mehrparteiensystems und der
Tolerierung oppositioneller Medien hat Idriss Déby, der Staatspräsident der
Republik Tschad, in seiner fast 23-jährigen Amtszeit keine politischen
Großtaten vorzuweisen. Sein Land gehört noch immer zu den ärmsten,
unterentwickeltesten Staaten der Welt und den bescheidenen Reichtum, der seit
ein paar Jahren durch die Erdölförderung in den Staatshaushalt fließt, teilt
der Clan des Präsidenten unter sich auf. Débys Versuch, „sozial“ zu wirken, in
dem er vor ein paar Jahren Schulen und Gesundheitszentren in den Provinzorten
bauen ließ, versandete – es fehlte an Personal und die Gebäude verfielen
wieder.
Der bemerkenswerteste Verdienst des ehemaligen
Berufsoffiziers und Kampfpiloten ist es, länger als jeder andere im
Präsidentenstuhl in N´Djamena ausgehalten zu haben und etwas Stabilität in
einen kriegsgebeutelten Landstrich gebracht zu haben. Déby denkt hauptsächlich
in den Kategorien eines Militärs, Ordnung und Stabilität haben für ihn Vorrang.
Diese waren wohl auch der Grund, warum er 2003 Spezialeinheiten in die
benachbarte Zentralafrikanische Republik (ZAR) schickte und einer Gruppe
Soldaten um den ehemaligen Militärchef Francois Bozizé half, den gewählten Präsidenten
Ange-Felix Patasse zu stürzen. Unter Patasse verfiel das Land immer mehr und es
trieben sich sogar Milizen aus der benachbarten Demokratischen Republik Kongo
in der ZAR herum.
Doch auch Bozizé konnte das Ruder nicht herumreißen. Die ZAR
blieb ein schwacher instabiler Staat und der Inbegriff einer pro-französischen
Operetten-Republik.
Mit der 2011 gestarteten neokolonialen
Rückeroberungsoffensive der westlichen Staaten in Afrika nahmen Krieg und
Instabilität zu – und das ist etwas, was auch dem pro-westlichen Déby gegen den
Strich ging, der seine im Wüstenkampf erfahrenen Soldaten zu
Stabilisierungsmissionen gegen die NATO nach Libyen (1.000 Mann), mit der NATO
nach Mali (2.000 Mann) oder zur Unterstützung verbündeter Staatschefs in die
ZAR oder die Demokratische Republik Kongo (DRK) entsandte.
Afrikas Rückeroberung durch die Kolonialmächte
Mit der Militärintervention in der Elfenbeinküste
2011 durch französische und UNO-Truppen, um den linksnationalen, antikolonialen
– gerade erst wiedergewählten – Staatspräsidenten Laurent Gbagbo zu stürzen –
begann der neue Kolonialfeldzug. Es folgte der NATO-Überfall auf Libyen
und damit die völlige Zerstörung eines Staates, der Motor und Hauptfinanzier
der Afrikanischen Union (AU) war. Damit war der Kontinent entscheidend
geschwächt. Sowohl in der Elfenbeinküste als auch in Libyen setzte der Westen
Marionettenregime ein, welche die Destabilisierungspolitik des Westens in
Afrika vorbehaltlos unterstützten.
Die neokoloniale Offensive geht weiter:
Algerien, einer der wichtigsten noch wirklich
unabhängigen Staaten des Kontinents, wird von islamistischen Terroristen
bedroht, die in Libyen und derzeit in Syrien immer wieder für die Interessen
des Westens gekämpft haben. Im Zuge seiner Militäroperation in Mali hat Frankreich
erzwungen, daß es algerischen Luftraum nutzen darf und spioniert schon fleißig
für seine nächste Intervention, die wohl Algerien gelten wird.
Nigeria, eine Regionalgroßmacht und bisher ein
Stabilitätsfaktor, versinkt in Chaos, Anarchie, Gewalt zwischen
Religionsgemeinschaften sowie Korruption und ist de facto handlungsunfähig.
Das rohstoffreiche Mali, das bisher als
demokratisches Musterland gegolten hatte, ist gespalten in einen kleinen Teil,
der von der Regierung kontrolliert wird und in einen größeren, in dem Kämpfe
der Mali-Armee gemeinsam mit französischen und tschadischen Truppen gegen drei
islamistische Rebellenbewegungen geführt werden. Erst hatten mit Ghaddafi
verbündete Tuareg-Kämpfer, welchen 2011 in Libyen gegen die NATO-Söldner gekämpft
hatten, Nord-Mali erobert, doch bald traten – oh Wunder – radikale Islamisten
auf den Plan, vertrieben die Tuareg und bereiteten so den Grund für die
französische Militärintervention – denn wer kann schon etwas gegen den Kampf
gegen „böse, böse“ Terroristen sagen?
Im erdölreichen Sudan wurde die Abspaltung des
rohstoffreichen Südens als Marionettenstaat von Washingtons Gnaden erzwungen.
Die anti-westliche Regierung Sudans unter Präsident Omar al-Bashir war von
ihren Hauptgeldquellen abgeschnitten, während die neue Regierung im Südsudan
sich als unfähig erwies, einen halbwegs funktionierenden Staat aufzubauen.
Der linksnationale, gewählte Präsident von Sambia,
Michael Sata, der gegen Korruption vorgeht und im Minensektor stärker die
Interessen der Arbeitnehmer statt der westlichen und chinesischen
Bergbaukonzerne versucht durchzusetzen, wird in westlichen Medien als
„Autokrat“ diffamiert.
Im benachbarten Simbabwe leidet die Bevölkerung seit
Jahren unter Sanktionen des Westens, weil der anti-kolonialistische Präsident
Robert Mugabe, ein ehemaliger Befreiungskämpfer, sich weigert, sein Land an
westliche Investoren zu verschachern und eine Landreform durchsetzte, die weiße
Großfarmer enteignete und das Land den Schwarzen gab.
Die mit erfolgreichsten afrikanischen Staatschefs Paul
Kagame (Ruanda) und Yoweri Museveni (Uganda) – bisher immer
Verbündete des Westens – werden plötzlich als „Diktatoren“ geschmäht – unfähige
Autokraten wie Kongos Präsident Joseph Kabila werden dagegen bedingungslos vom
Westen unterstützt.
Madagaskar wird mit Sanktionen belegt, weil dort eine
Protestbewegung unter Führung des ehemaligen Hauptstadt-Bürgermeisters einen
korrupten Präsidenten stürzte, der riesige Mengen Ackerland und Waldgebiete an
ausländischen Konzerne verscherbeln wollte.
Vor dem Hintergrund des Mali-Krieges und unter dem Druck der
USA stimmte die schwache und sozialdemokratische Regierung Nigers der
Einrichtung eines US-Drohnenstützpunktes zu. Mit der Unterstützung von
Ghaddafis Libyen im Rücken hätte sie das nie getan.
In Malawi unterstützte der Westen die Machtübernahme
von Joyce Banda, einer völlig unerfahrenen Politikerin, nach dem Tod des
amtierenden Präsidenten. Banda hat 1:1 die Reformen des IWF durchgeführt und
das Land ins wirtschaftliche Chaos gestürzt.
Die Lage in der ZAR
Nun also auch noch ein Umsturz in der Zentralafrikanischen
Republik, bei dem Frankreich keinen Finger rührte, obwohl es ein
Verteidigungsabkommen mit der ZAR hatte. Paris wird seine Gründe gehabt haben,
denn Präsident Francois Hollande verkündete vollmundig im TV, daß die Zeiten,
wo sich Frankreich in diverse Umstürze in Afrika eingemischt habe, endgültig
vorbei seien. Doch keine zwei Wochen später griff es in den Bürgerkrieg in Mali
ein. Also kann nur geschlußfolgert werden, daß Paris Francois Bozizé loswerden
wollte.
Dieser galt zwar immer mehr oder weniger als Statthalter
Frankreichs, hatte aber zunehmenden Eigensinn entwickelt. Er umgab sich mit
Beratern aus Südafrika, welche die französischen Einflüsterer verdrängten und
die 200 im Land stationierten südafrikanischen Soldaten waren auch die
einzigen, die bis zum Schluß für Bozizé kämpften, während die Friedenstruppen
aus dem Tschad und aus Gabun die Rebellen nicht aufhielten und selbst die
nationale ZAR-Armee nur schwachen Widerstand leistete.
Bozizé privatisierte auch einige Staatsunternehmen, an denen
die Franzosen zuvor beteiligt waren und verkaufte sie an chinesische
Investoren. China aus Afrika zurückzudrängen war übrigens einer der
Gründe für den Überfall auf Libyen.
Bemerkenswert war auch schon die vor Wochen erhobene
Forderung der Rebellen, die südafrikanischen, nicht aber die aus den anderen
frankophonen Staaten stammenden Friedenstruppen oder die französischen und US-Streitkräfte müßten abziehen. Steckt nun
etwa doch Paris hinter dem Regimewechsel?
Die Rebellenkoalition „Seleka“ (was in der Sango-Sprache
soviel wie „Allianz“ bedeutet) ist ein Bündnis von mindestens vier
widerstreitenden Rebellenbewegungen, die sich von anderen
Widerstandsbewegungen, die mit der Regierung bereits Frieden geschlossen haben,
abgespalten haben.
Bereits im Dezember 2012 schickten sich die Seleka-Rebellen
an, die Hauptstadt Bangui zu erobern. Damals wurden sie noch von tschadischen
Truppen gestoppt. Paris und Washington rührten keinen Finger, was zu wütenden
Demonstrationen von Bozizé-Anhängern vor der französischen und der US-Botschaft
führte. Scheiben wurden eingeworfen.
Auf einmal übte Paris plötzlich doch Druck auf die Rebellen
aus, Verhandlungen aufzunehmen und sich an einer neutralen Übergangsregierung
unter dem angesehenen Rechtsanwalt und Menschenrechtler Nicolas Tiangaye zu
beteiligen. Zwei Monate hielt der Frieden, dann zogen sich die Rebellen aus der
Regierung wieder zurück und setzten ihren Eroberungsfeldzug fort.
Diesmal hielten sich die tschadischen Truppen zurück. Zwar konnte die zentralafrikanische
Armee die Seleka-Kämpfer mit Kampfhubschraubern kurzzeitig zurückdrängen, wurde
aber letztlich von den höchstens 2.000 Kämpfern überrannt.
Wieso waren die Rebellen so stark und die Armee, die über
ca. 4.800 Soldaten verfügt, so schwach?
Wieso hielt sich der Verbündete Tschad zurück?
Zumindest was den Tschad angeht, gibt es mittlerweile
Anhaltspunkte.
Möglichkeit Nr. 1: Da Paris den unbequemen Bozizé loswerden
wollte, hatte es die „Anweisung“ an die frankophonen Staaten gegeben, sich
militärisch zurückzuhalten und Déby ist dieser Anweisung nachgekommen.
Möglichkeit Nr. 2: Déby hat die Schwäche Bozizés erkannt,
wußte daß seine Herrschaft nicht mehr zu retten ist und suchte eine Übereinkunft
mit den Rebellen. Dafür sprechen wiederum zwei Gründe: der „Präsident“ der
Seleka, Michel Djotodia, der sich selbst zum neuen Staatschef ausgerufen hat,
wird angeblich von anderen Seleka-Führen bezichtigt, ein zu enges Verhältnis zu
Idriss Déby zu haben. Der zweite Grund wäre, daß Déby erkannt hat, daß, so
lange die Rebellion im Norden der ZAR andauert, in diesem Sicherheitsvakuum
immer wieder neue Rebellionen gegen den Tschad gestartet werden könnten, wie es
in der Vergangenheit bereits geschehen war. Von Bozizés schwacher Armee war im
Ernstfall kein Beistand mehr zu erwarten.
Zu diesem möglichen Motiv paßt auch, daß eine längst besiegt
geglaubte Allianz tschadischer Rebellen unter Débys Neffen Timan Erdimi wieder
zum Leben erweckt ist. Die Union der Kräfte des Widerstandes (UFR)
sammelt Kämpfer und bereitet sich auf einen neuen Angriff gegen N´Djamena vor.
Ihr Ziel ist nicht etwa eine sozial gerechtere Gesellschaft oder eine stärkere
Demokratisierung. Nein, der Hauptkritikpunkt der UFR-„Rebellen“ um Timan Erdimi
und seinen Bruder ist, daß Déby zu viel Geld in den Sicherheitsapparat und zu
wenig in den eigenen Clan investiert. Bei einer derartigen politischen
Alternative kann man nur hoffen, daß sich die Investitionen in den
Sicherheitsapparat gelohnt haben.
25. März 2013
K. Hanisch
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