Gefängnisdialog in Tripolis
Mohamed al-Zuwai[1] stellte eine
Initiative vor, die aus Verhandlungen zwischen Dschamahirija-Häftlingen und der
LIFG[2]-geführten
Verwaltung des al-Hadba-Gefängnisses in Tripolis hervorging.
Wie JamahariyaNewsAgency[3]
mitteilt, fand bereits am 16. Juli 2016 ein Treffen zwischen dem Sekretariat
der ‚Libyschen National Assembly‘ (Libysche Nationalversammlung)[4]
und Vertretern der ‚Bewegung des 17. Februars‘[5]
statt. Den Vorsitz bei den Gesprächen hatte Khaled al-Scharif.[6]
Auf Gefangenenseite nahmen an dem Gespräch Mohamed al-Zuwai, Abdullah Senussi,
Dr. Mohammed Scharif und Dr. Baghdadi Mohamoudi, allesamt ehemalige Vertreter
und Beamte der Dschamahirija-Regierung, teil.
Die Führung und die Mitglieder
der Libyschen National Assembly sehen viele offene Fragen, die noch geklärt
werden müssten; diese beziehen sich auch auf die Umstände des Zustandekommens
des Vereinbarungs-Entwurfs.
Entwurf:
01.
Vollständige Amnestie für alle Libyer für den
„01.09.1969“.[7]
Das Dokument soll mit diesem Datum unterzeichnet werden.
02.
Freilassung aller politischen Gefangenen
03.
Außerkraftsetzung aller Gesetze, die einer
Aussöhnung im Wege stehen, einschließlich des politischen Isolationsgesetztes[8],
sowie Suspendierung ausländischer Strafverfolgung.
04.
Faire Wiedergutmachung, damit alle libyschen
Bürger zu ihrem Recht kommen, Kompensation für erlittene Verluste
05.
Rückgriff auf eine Übergangsjustiz bei
Resolutionen mit Konfliktpotential
06.
Rückkehr von Vertriebenen in ihre
Heimatgemeinden
07.
Beendigung der Kämpfe, Entwaffnung und Auflösung
der Milizen
08.
Bildung einer vereinten Nationalarmee zum Schutz
der Heimat
09.
Erstellung einer neuen Verfassung
10.
Wer zukünftig Libyen regiert, soll durch
nationale Wahlen entschieden werden.
Diese Vereinbarungen treten erst
in Kraft, wenn sie von allen beteiligten Parteien angenommen sind.
Das Dokument soll als Roadmap
dienen, die ein Licht am Ende des Tunnels aufzeigt, um Libyen weiträumige
Zukunftsperspektiven zu eröffnen.
________________________
Gespräch mit Mohammed al-Zuwai über die Verhandlungen, die zu diesem
ersten Entwurf von Vereinbarungen zwischen den Kräften der Revolution vom
September 1969 und den Kräften des Umsturzes vom Februar 2011 führten.
Hier einige Fragen und deren
Beantwortung:
F: Bedeutet diese Vereinbarung,
dass Leute ihre Prinzipien aufgeben müssen?
A: Nein, jeder hat die Freiheit,
seine Gedanken zu vertreten. Aber die Vereinbarung bietet die Möglichkeit,
Forderungen zu erheben, ohne in Kampf und Streit abzugleiten.
F: Müssen die einzelnen Parteien
zu Zugeständnissen bereit sein?
A: Ja, für die ‚Einigung Libyens‘
müssen Kompromisse eingegangen werden. Politik ist die Kunst des Möglichen,
nicht die Kunst des Unmöglichen.
F: Ihr seid im Gefängnis, daher
die schwächere Partei. War deshalb Nötigung mit im Spiel?
A: Obwohl wir Gefangene sind,
sind wir nicht die schwächere Partei. Der Kerkermeister war derjenige, der um
diese Gespräche bat. Er weiß um unsere Stärke, die wir durch die
Standfestigkeit unserer Leute erhalten, auch angesichts von Ungerechtigkeit und
der Nichtbeachtung ihres Leidens. Wir beziehen unsere Stärke auch daraus, dass
die Bewegung des 17. Februars [2011]
in all den letzten Jahren beim Aufbau eines ordentlichen Staates keinen Erfolg
hatte. Zum Beispiel war die Stimme Abdullah Senussis[9]
bedeutsamer als die seiner Kidnapper.
F: Was genau braucht es?
A: Nötig sind die vereinten
Anstrengungen aller patriotischen Kräfte im In- und Ausland sowie die Bildung
eines Koordinationskomitees, das Abmachungen treffen kann, die Libyen aus der
tragischen und katastrophalen Situation heraus führen.
Dschamahirija weist darauf hin, dass – während diese Gespräche
stattfanden – Mord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen
begangen wurden. Hätte der LIFG aufrichtig gehandelt, wären alle Gefangenen
entlassen worden. Stattdessen wurde an 17 Häftlingen Verrat begangen: Als ihre
Entlassung anstand, wurden sie innerhalb des al-Hadba-Gefängnisses gefoltert
und exekutiert. Anschließend wurden als Warnung ihre Leichen an verschiedenen
Plätzen in Tripolis abgelegt.
Das Timing der getroffenen Vereinbarungen wirft auch Fragen auf, die
sich aus der Freilassung von Saif al-Gaddafi ergeben, und aus seiner
Verlautbarung, er werde im Land bleiben, um Libyen zu vereinen, den Terrorismus
zu besiegen und die Souveränität Libyens wiederherzustellen. Saif al-Islam hat
die Unterstützung der Mehrzahl der libyschen Stämme, die ihre Verbundenheit mit
ihm öffentlich verkündet haben.[10]
[1]
Mohamed al-Zuwei war Schulkamerad Gaddafis und unterstützte diesen bei der
Revolution 1969. Er war Botschafter in London und später Generalsekretär des
Allgemeinen Volkskongresses. In dieser Position fungierte er quasi als
Staatsoberhaupt Libyens.
[2]
LIFG – Libyen Islamic Fighting Group: Die al-Kaida-Organisation verfügt mit
ihrer Nationalgarde über mehr als 10.000 Kämpfer
[3]
https://jamahiriyanewsagency.wordpress.com/2016/07/19/text-of-the-agreement-between-the-forget-september-and-february-movement/
[4]
Zur Dschamahirija gehörige politische Bewegung zur Befreiung Libyens
[5]
Der 17. Februar wurde zum ‚Tag des Zorns‘ ausgerufen und führte 2011 in Bengasi
zu ersten Demonstrationen gegen Gaddafi.
[6]
Khaled al-Scharif war im Januar 2013 zum stellvertretenden
Verteidigungsminister ernannt worden. Er arbeitete mit dem Militärrat in
Tripolis zusammen, der von Abdel Hakim Belhadsch geführt wurde mit dem Ziel,
eine Nationalgarde zu bilden, die mit der Gerichtspolizei bei der Überwachung
der Gefangenenlager kooperierte, einschließlich des al-Hadba-Gefängnisses. Die
heutige Präsidialgarde besteht zu großen Teilen aus den LIFG- und al-Kaida-Kämpfern,
die al-Scharif und Belhadsch 2013 aufgestellt hatten. Al-Scharif nahm auch an
den Gesprächen im März in Istanbul teil, bei denen vereinbart wurde,
Mordanschläge gegen Offiziere der Libyschen Nationalarmee zu verüben.
Tatsächlich wurden in der Folge etliche Offiziere brutal getötet.
[7]
Dies bezieht sich wahrscheinlich auf die im Verlauf der Revolutionsnacht 1969
Verhafteten.
[8]
Mit diesem Gesetz sollte allen ehemals mit der Dschamahirija-Regierung
verbundenen Personen die politische Teilhabe in Libyen untersagt werden.
[9]
Abdullah al-Sanussi ist der Schwager Muammar al-Gaddafis. Er war auch sein
enger Vertrauter.
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